Shahla Ujayli: Unser Haus dem Himmel so nah

Kupido Literaturverlag

„… Stundenlang unterhielten wir uns und beschworen den Geist der Vergangenheit herauf, den Duft nach Jasmin, Geißblatt, Jujuben…“

Alles, was erinnert werden kann, wird lebendig. Und die, an die sich niemand mehr erinnert, sind wahrhaft tot. Irgendwoher stammt dieses Zitat, nicht aus dem Roman von Shahla Ujayli, aber ich stelle mir vor, dass dieser oder ein ähnlicher Gedanke Anlass dieses Buches gewesen sein könnte.

Eine Kulturanthropologin, die seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs in Jordanien ist, lernt im Flugzeug einen Mann, Syrer wie sie, der lange in Amerika lebte, kennen. Beide im Exil, sie verlieben sich und es bleibt in der Folge angenehm offen, ob die sich wegen Anziehungskraft oder aus Einsamkeit verlieben, oder – weil sie gemeinsame Erinnerungen haben, an eine Stadt, ein Land, dass es so nicht mehr geben wird, wenn der Krieg vorbei sein sollte. Nur das ist gewiss.

In ihren Erinnerungen lassen sie Aleppo wieder auferstehen. Wandern Hand in Hand durch Raqqa. Und da ist der Roman groß, auch deshalb, weil zur Spielzeit des Romans noch Hoffnung bestand, dass es nicht gut, aber vielleicht noch glimpflich ausgehen könne – aber auch, weil die Autorin es versteht, die Komplexität der Menschen, Haltungen, Handlungen am Beispiel von Aleppo darzustellen. Um diese Figuren Hauptfiguren ranken sich Geschichten und Syrien, Aleppo, Raqqa, spielt immer mit. Häuser, ganze Stadtteile werden im Gespräch wieder aufgebaut, unglaublich schöne Gerüche schwingen immer mit.

Dadurch wird eine unglaubliche Vielfalt skizziert. Wer in Europa Syrien hört, denkt an Krieg. Auf der inneren Landkarte ist die Türkei ein Urlaubsort, kenntlich an den bunten Cocktailschirmchen, dahinter Syrien, Emoji Blitz. Israel. Es ist doch so: Bei einem Bericht über Syrien wird Krieg, Vertreibung und Chaos erwartet, und die Erwartenshaltung wird verlässlich bedient.

Und da ist der Roman schön, denn jedes Land trägt alles in sich, vor allen Dingen Heimat, was in einer Beobachtung der Hauptfigur, der Anthropologin, immer greifbar ist. Ist sie in Amman, in ihrer neuen Heimat, dann fühlt sie sich unsicher, nicht vertraut wie in Aleppo oder Raqqa; eben, weil ihr dort jede Ecke bekannt war. Oder kürzer: Hat man einen Ort, den man kennt, hat man Heimat.

Noch eine schöne und wahre Beobachtung: Der Pass ist das Dokument der Wiedergeburt. Die Erleichterung, die die Hauptfigur Djuman stets spürt, wenn sie den finalen Stempel erhält, der sie zum Boarding zulässt. Und eine sehr eindrückliche Episode: Das Flüchtlingslager Zaatari und sie mittendrin, zusammen mit vierhundert anderen Organisationen aus achtzig Ländern soll sie als Kulturanthropologin vor Ort definieren, wie die Mindeststandards von Katastrophenhilfe aussehen sollten, unter der besonderen Berücksichtigung der Errichtung von Lagern. Sie trifft auf unterschiedliche Leben und unterschiedlichste Fluchtgründe, auf Unmengen an Zucker, und ein Kind, dass geboren wird.

So reich der Roman in dem Erinnerten und Imaginierten ist, so glücklich gewählt die Beobachtungen sind, so wenig hatte die Liebesgeschichte im Unser Haus dem Himmel so nah die Kraft, in den Bann zu schlagen. Zu holzschnittartig, wie an Fäden kaspern Mann und Frau durch ihre Liebesgeschichte. Es kommt noch ein schweres Leiden hinzu, aber auch hier agieren die Figuren wieder wie aus einem Bilderbuch der erwartbaren und angemessenen Handlungen für Heiligengeschichten, aber: wenn mich Dinge an einem Buch stören, dann lese ich erst einmal drüber hinweg, so lange, bis das Störende anfängt zu überwiegen.

Unser Haus dem Himmel so nah ist eine Gratwanderung. Eindrücklich und sehr empfehlenswert, alles über Syrien, über die verschiedenen Besatzer, die das Land und ihre Bewohner prägten. Ein Fülle an Erinnerungen, die kräftig genug waren, eine Stadt aus der Ferne zu imaginieren – dabei das Buch mit dem Wissen zu lesen, dass so viel unwiederbringlich verloren ist. Daneben, ein wenig ärgerlich, typisierte Figuren, Klischees statt Figuren – und ganz eigenartig – in der Liebesgeschichte eine latent groschenromanhafte Sprache.

Unser Haus, dem Himmel so nah, ist der dritte Roman der 1976 geborenen Autorin Shahla Ujayli und war 2016 auf der Shortlist für den International Prize for Arabic Fiction

Unser Haus dem Himmel so nah, Rezension Deutschlandfunk Kultur