Lavinia Branişte: Sonia meldet sich

ein mikrotext
Sonia meldet sich ist ein atmosphärischer Roman über Rumänien im Heute und der Suche nach dem Gestern. Erzählt wird aus der Perspektive von Sonia, einer Figur wie aus einem Nouvelle Vague Film. Ein Drehbuchauftrag stößt die Geschichte über Rumäniens weitgehend unbekannte, jüngere Geschichte an. Es soll um Elena Ceauşescu und deren Tochter Zoia gehen. Zuerst befragt Sonia sich, dann ihre Mutter, sie recherchiert und stößt überall auf ein großes Nichts, auf Abwehr, auf Vergessenwollen. Ein großartiges Buch über eine Suche, über einen Weg, der zum Ziel wird.
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Sonia wandert wie eine Chronistin durch die Stadt Bukarest, sie registriert den Verfall, der sie umgibt, Schimmel in allen Farben, bröckelnder Putz. In der Wohnung, in der sie mit ihrem Freund Paul lebt, im Treppenhaus, in öffentlichen Gebäuden. Die Stadt ist marode, ihre Beziehung auch, das hauptsächliche Merkmal scheint eine gewisse Unbeteiligtheit auf beiden Seiten zu sein, jedenfalls wundert sich Sonia manchmal, wie sie zu ihm und er zu ihr gekommen ist.
Und das ist auch Sonia. Sie arbeitet nach ihrem Studium bei einem kleinen Sender, verfasst Features, Blogeinträge, die Anlass zu Kritik seitens des Senders geben „… Wir möchten unsere Leser nicht traurig machen. Die Zukunft muss Hoffnung geben. …“, schreibt ihr die Redaktion.
Und noch mehr Sonia: In der Beziehung zu ihrer sie liebenden, aber schwer erträglich distanten Mutter, einem konsequent abwesendem Vater und einer aufdringlich Stiefschwester, die eine Beziehung zwischen ihnen konstituiert, die nicht da ist.
Am Anfang des Buches wird sie von dem Regisseur Vlad angeheuert, ein Drehbuch über Elena Ceausescu, Präsidentengattin und deren Tochter Zoia zu schreiben. Ihr wird bewusst, dass sie, aus der Generation der Nach1989er nichts über Rumänien vor 1989 weiß. Ein Nichts wurde im Geschichtsunterricht vermittelt, Angehörige schweigen, Unterlagen über Verfolgungen der Securitate sind nicht zugänglich.
Die Stimmung im heißen Budapest ist atmosphärisch und mittendrin beginnt Sonia wie zu ermitteln. Sie will mehr wissen, erst über die Mutter-Tochter-Beziehung von Elena C. und Zoia – aber letztlich will sie mehr über sich und über Rumänien erfahren. Unter Umständen könnten sich Erklärungen finden auf ihre belanglos vor sich hingelebte Beziehung, auf den Verfall in und um die Menschen herum. Vieles, was sie liest, hat Märchencharakter, oder es sind Übertreibungen, sie hört Lügen, Verdrehungen – und der Regisseur Vlad besteht weiterhin penetrant auf einem Drehbuch der Enthüllungen.
Fazit: Es ist spannend zu lesen, wie sich jüngere Geschichte und Sonias Frausein verquicken, sich in Beziehung setzt zu Bukarest, Rumänien, den Menschen – und hinführt zu einer Erzählerin, die mehr betrachtet denn fühlt, deren Auge in den besten Momenten wie eine Kamera ist und mit jedem Lidschlag entfalten sich neue Situationen, ob grotesk, heiter oder zärtlich.
Sonia meldet sich
Lavinia Braniște, Mai 2021 mikrotext
15,99 € E-BookePubPDFmobiISBN 978-3-948631-09-3
19,99 € Taschenbuchtaschenbuch
320 SeitenISBN 978-3-948631-10-9