„…Für viele von uns war Kunst ein Vorwand, nicht so früh aufstehen zu müssen und keinen Chef …

Rex Feuchti, Margarethe Grimma, 1.Auflage Juli 2014, ISBN 978-3-944-855-07-3, Verlag das Beben

zu haben. Ich zumindest musste aber immer gegen das nagende Gefühl anarbeiten, nichts gebacken zu kriegen. …(Robinson Freitag/OzEOzelOt) “  aus Rex Feuchti, von Margarethe Grimma, Verlag das Beben.

Plot: Im Vorwort gibt die Autorin M. Grimma zu Protokoll, dass sie von der Enthauptung des Pornorappers Rex Feuchti in der Hannoveraner Fußgängerzone enorm schockiert war. Aber nicht nur die kaltblütige Tat an sich entrüstete ihr gerechtigkeitsliebendes Schriftstellerherz, viele Fragen warf auch die Mörderin, die bis dato sympathische Supertalent- Gewinnerin, Xenia Hammerstein auf, die sich mit ihrem Song: Meine Liebe in die Herzen ihrer Fans sang.

Bevor am Ende enthüllt wird, was das Mädchen dazu trieb, den Rapper mit einem Samuraischwert gekonnt zu enthaupten, beginnt Frau Grimma mit einer Testamentseröffnung, zu der die indignierte Schriftstellerin, Eigenauskunft: erfolglose Schwerintellektuelle, geladen ist. Als der Notar ihr eröffnet, dass sie von Rex Feuchti auserkoren wurde, dass Archiv des Pornorappers zu sichten und nach ihrem Gusto Texte, Lieder, was immer zu veröffentlichen, da ist sie baff. Und es kommt noch besser: Dafür gibt es Geld – und nicht zu knapp.

Es wird metafiktional. Beim Sichten des Nachlasses fällt der Autorin auf: „ … keiner der Artikel war jemals in einer Zeitung erschienen, keiner der Ausschnitte je im Fernsehen gelaufen, nicht ein einziges Dokument je an der bezeichneten Stelle im Internet veröffentlicht …“ Da drängt sich nicht nur der Autorin die Frage auf: Wer war Rex Feuchti? Auf dem Grund seiner Seele auch ein Schwerintellektueller, vielleicht von hegelianischem Zuschnitt? Und welche Art von Zeitdokument wollte der Rapper, dessen Werk auf Stahlrute Records veröffentlicht wurde, schaffen?

Gleich darauf gibt Frau Grimma bekannt, dass sie noch nie etwas geschrieben hat; die kurze Irritation nutzt sie, um sehr profund über Kindergärten, die Kleinen und deren Eltern zu plaudern und darüber, dass der ultimative Kindergartenroman bedenklich lange auf sich warten lässt, womit sie recht hat. Auf einen Schreibkurs übertragen hieße dieser Stil superunzuverlässige Erzählerin oder Münchhausen ist endlich wieder da.

In der Form ist Rex Feuchti eine bunte Mischung aus Zeitungsartikeln, Geschichten, Essays, Kolummen, Märchen, Leserbriefen, Aufsätzen und deren Beurteilungen von vermeintlich wohlmeinenden Lehrkräften, Blogeinträge, Behandlungsprotokolle und mehr mischt sich kasperlebunt. Die Gliederung erfolgt durch die Lyrik des Pornorappers.

Zusammengehalten wird alles von der Frage: Wer war Xenia Hammerstein? Was trieb die junge Frau aus kleinsten Verhältnissen, die emsig an sich arbeitete, um zu einem strahlenden Star zu werden, der nicht nur die Kinder in der Hans-Clarin-Klinik verzückte, zu diesem verrückten Mord in der Fußgängerzone?

Diese Frage zog mich durch das Buch, die Antwort gibt es ganz vorbildlich am Ende, davor geht es vorbei an Figuren, die es sich kennenzulernen lohnt: wie Herrn Freudenhammer, Klangkünstler, Magda und Ivor, Punks, oder Rita Eberskrafft, Herrin über Balzgesänge im Vogelpark Walsrode – ich habe lediglich die Sache mit dem Mann, aus dem der weiße Wurm kam – nicht so gern gelesen. Was Geschmackssache ist, aber es gibt einen Punkt, an dem ich Stopp rufe.

Ich hatte meinen Spaß an dem genauen Hören, mir gefielen die Albernheiten, die sich unvermittelt als Ernst entpuppten, ich mochte die Enttarnung von einheitsgeföhnten Wortbrei aus jeglicher Richtung. Am meisten aber mochte ich die Sprache, wie so nebenher geplaudert, stets abschweifend, abstrus vom hundertsten ins tausendste gehend und dabei immer wieder unglaublich klare Parallelen ziehend. Es war sehr vergnüglich – für preiswerte 3,49 Euro!

Fazit: Sehr viel Spaß. Freude – hatte ich auch sehr, besonders an den Figuren. Vergnügen – ***** 5 Sterne für die Tatsache, wie weit die Autorin bereit ist, zu gehen, in dem Erfinden von Biografien, in dem Gestalten eines Textes, das ist erstaunlich – und schön.

Über die Autorin: Es ist der erste längere Prosatext von Margarethe Grimma, Jg. 1984, die Hunde, helles Licht und Stephen King mag. Ich hoffe, es mögen noch viele weitere folgen

Indie-Autor-Preis 2015 Der 2. Platz des Jurypreises, geht an den lesenswerten Essayband von Philip Meinhold O Jugend, O Westberlin

…Jurybegründung:

„Philip Meinhold gelingt mit „O Jugend, O West-Berlin“ ein doppeltes Erinnerungsbuch. Gemäß einer Sentenz von Alexander Kluge, nach der nicht nur Menschen sondern auch Gegenstände und Landschaften Lebensläufe haben, spiegeln sich in seinen Texten vier Jahrzehnte persönliche Geschichte und Westberliner Lebensgefühl in der Entwicklung Berlins: von der provinziellen, leicht miefig und verkehrsberuhigt anmutenden Großstadt der 70er und 80er Jahre über die hippe Metropole nach dem Mauerfall bis zur heutigen Partyhauptstadt der westlichen Welt.“…

Zum dritten Mal auf der Leipziger Buchmesse: Der Indie-Autor-Preis, ausgelobt von der Leipziger Buchmesse und neobooks. Bei diesem Preis liegt das Augenmerk auf der Gesamtleistung, also Werk, Marketingstrategien,  Presse und Vertrieb.

In der letzten Woche waren bei mir Bücher in, die sich mit Erinnertem, mit nicht mehr real existierender Zeit beschäftigten. Zum einen Westbam, die Macht der Nacht und – der 2. Platz des Jurypreises, Philip Meinhold. Beide erinnern sich, jeder auf seine Weise – bei Meinhold kommt vieles, was an Jugendzeiten erinnert, wie der Quelle-Katalog, die Grüne Woche und Regionalliga-Fußballclubs zu ihrem Recht (leider nicht Wacker Lankwitz) – bei Westbam eher Drogen.

Für mich war es bei O Jugend, O West-Berlin wie mit einem vergilbten Fotoalbum in der Hand und Erinnerungslücken im Kopf – Wie hieß der noch gleich?-, -Moment, es liegt mir auf der Zunge, Moment! – O Jugend …. hat die Antworten.  Den Quelle Katalog auf den Knien. Es war jahrelang ein tage füllendes Spiel für uns:  -Wie würdest du später deine Wohnung einrichten?– und: -Stell‘ dir vor, du hast die Laube deiner Großtante geerbt, die muss neu eingerichtet werden und deine Kinder brauchen Anziehsachen, du hast aber nur 200 DM. – Das konnte dauern. Kinderspiele, vom Messblatt der Erinnerung, und das Schöne ist, dass alle Kinderspiele sich irgendwie ähneln.

Zu viel Gefiltertes neigt zum Kitsch, nicht so bei  der von Meinhold in Westberlin verlebten Jugend.  Fein gefallen hat mir auch der Essay über die Westberlins Kinos, überhaupt ist das ein Buch zum Blättern, nicht ein Buch, das vom Anfang bis zur letzten Zeile gelesen werden muss, auch weil die Reportagen keiner sich mir erschließenden Logik folgen, egal.  Oft erinnere ich mich noch an Filme, die ich sah, aber nicht mehr, wie das betreffende Kino hieß; auch hier hilft O Jugend …  .Was fehlte, war der Blaue Satellit oben am Halensee mit seinem Sonntagnachmittag-Tanztees, die berlinsche Hinwendung zur  Schwarzwälder-Kirschtorte, daneben ein Likörglas Sauer mit Persiko …. ich glaube, diese wunderbare Sammlung von Essays, Reportagen, manchmal fast Erzählungen, hängen zum einen am Ort, zum anderen an der erzählten Zeit und sind daher nicht ausschließlich als Regionalia zu betrachten.

Überhaupt Berlin: Für jeden Berliner, womit im Grunde die Zugezogenen gemeint sind, denn das sind die leidenschaftlichsten Berliner, siehe Kreuzberg 36 und 61*, ist das mal ein durchweg angenehmes Buch zum Blättern, Erinnern und Liebhaben.  Wäre O Jugend … ein Print, so wäre es endlich mal ein interessantes Coffee-Table-Book.

„… Es ist spät geworden für alte Damen. Und ich merke, wie müde ich bin von so viel Berlin.  …“ Auch von einem großen Berlinschreiber.  Franz Hessel, Ein Flaneur in Berlin, Das Arsenal, Berlin 1984, Neuausgabe von Spazieren in Berlin (1929)

Und die Gewinner des Indie-Autor-Preis 2015 sind:

  1. Mikki H., Pilluralli, ATPC Media, VÖ 29.05.2014, 4,99 Euro
  2. Philip Meinhold, O Jugend, O Westberlin, Reportagen Essays Kolummnen, 2,99 Euro
  3. Farina de Waard: Zähmung – das Vermächtnis der Wölfe (Band 1), Fanowa Verlag, VÖ: 21.01.215, 4,99 Euro

Sich in Polen einen Bob schneiden lassen von Magdalena Jagelke und Deadline: Indie-Autor-Preis 2015

Sicher besteht die Möglichkeit, sich in Polen einen Bob schneiden zu lassen, aber es können auch die Erzählungen von Magdalena Jagelke gelesen werden,  die überdies länger Spaß machen als ein Haarschnitt, der eh nur rauswächst.

In dem Erzählband sind Geschichten von, über und mit Frauen versammelt, bis auf wenige Ausnahmen im Heute erzählt. Kurzsichtigkeit im Schreiben ist der Autorin nicht gegeben und genau da entstand  beim Lesen meine große Freude: Es ist dieser sehr genaue Blick von kargen Alltagsbeschreibungen, zum Beispiel in der Geschichte um eine Hochzeit, demgegenüber stehen nüchterne Handlungen, von denen der Akt des Beinerasierens vielleicht die prosaischste ist.

Die mich am meisten überraschendste Geschichte gleich zu Beginn dieses E-Books der unerwartet schönen Erzählungen heißt: Im Orang-Utan Europas, die mir die temporäre Nichtexistenz des Landes Polen über Jahrhunderte eindrücklich vor Augen führte, lebendig gemacht durch eine wunderschöne, mutige Frauenfigur, die Zofia.   

Meine schönste Geschichte, Agnieszka, behandelt ein Treffen zweier Frauen, bei der Fotos einer Pilgerfahrt angeschaut werden. Die eine ist gläubig, die andere nicht. Auszug aus den Aufzeichnungen der Agnieszka: „…. Lass niemanden zwischen Gott und dich. Gib Acht und rechne mit Überraschungen. Rechne mit Enttäuschungen. Das Leben ist nicht einfach. Das Leben ist eine Prüfung, vergiss das nicht. Verzweifle nicht an deinem Leben. Die Zukunft bringt ein Reich, das von Gott ist. …“

Besser geht nicht. Es ist nicht einfach, mit neuen Bezugssystemen das Gefühl, wer man ist, was man ist, bei sich zu behalten. Die eine treibt ihre Liebe zu Gott auf die Spitze, die andere will leben und diese Systeme leben nebeneinander – ohne störende Autorenwertung. Und da ist auch das Thema des Buches: Das Nebeneinander  – mit einem Bein hier und mit dem anderen da, in Beziehungen, in Entscheidungen, räumlich-geografisch. Es gibt Hoffnung: Die Protagonistinnen halten das Ziehen und Zerren ganz gut aus.

Die Beschreibungen sind kurz und präzise, also herrlich. Wie allein schon das liebevoll gestaltete Heftlein der Agnieszka Kowalski mit ein paar Sätzen beschrieben wird, das Büchlein, in das die junge Frau ihre Gedanken und Liebe zu Gott fließen lässt, sind subversiv beobachtet und werden dadurch unglaublich komisch, obwohl eigentlich nichts lustig ist.

Magdalena Jagelke, geboren 1974, seit 1986 in Deutschland lebend. Nominierung für den Lyrikpreis München 2010, Merck-Stipendiatin, Mutter und Mutter ihrer ersten traumschönen Erzählsammlung; Sich in Polen einen Bob schneiden lassen. CulturBooksVerlag 2015, VÖ-Datum: 01.01.2015, ISBN 978-3-944818-75-7, 3,99 Euro.

 

Der Indie-Autor-Preis 2015, Leipzig

Selbstpubliziertes hat sich nicht nur im E-Book-Handel, sondern mittlerweile auch auf den Buchmessen etabliert.

Zum dritten Mal in Folge wird am 14.03.15 auf der Leipziger Buchmesse der Indie-Autoren-Preis verliehen.

Dieser Preis, ausgelobt von der Leipziger Buchmesse und neobooks, soll die engagierte Arbeit von Self-Publishern loben, die, denn nach dem Schreiben wartet auf die SPler Vermarktung, Vertrieb, Organisation von Lesungen und vieles mehr.  Das Wichtigste zum Schluss: Bis um 23:59 Uhr kann (und sollte) für Lieblingsbücher oder –Autoren abgestimmt werden.  Zur Abstimmung hier: Shortlist

WDR 3 – Bye bye Book

Ein sehr hörenswertes Feature von Elke Heinemann auf WDR 3 über Literatur im digitalen Zeitalter. Der Aufhänger kommt polarisierend daher „…Kann die Digitalkultur die Gutenberg-Galaxis ersetzen?…“  aber was soll’s, ist heute Sonntag?

http://www.wdr3.de/hoerspielundfeature/bye-bye-book100.html

U.a. mit: Chloe Zeegen, I love myself, ok? mikrotext 2013 // Giwi Margwelaschwili, Verfasser Unser. Ein Lesebuch, hg. von Kristina Wengorz und Jörg Sundermeier, Verbrecher Verlag 2013 // Stefanie Sargnagel, In der Zukunft sind wir alle tot. Neue Callcenter-Monologe, mikrotext 2014